Pressemeldungen

Rede des Stellvertretenden Vorsitzender der Gemeindevertretung Kai Gerfelder zum Volkstrauertag 2019

Lehre der Vergangenheit – Konfrontation mit der Gegenwart – Konsequenz für die Zukunft

Sehr geehrte Damen und Herren,

vor ziemlich genau 80 Jahren, am 01. September 1939, begann mit dem Ausbruch des 2. Weltkrieges die zweite Großkatastrophe des 20. Jahrhunderts. Nach den furchtbaren Ereignissen in den Jahren 1914 bis 1918 mit rund 17 Millionen Toten lag Europa und weite Teile Asiens und Afrikas sechs Jahre später erneut in Schutt und Asche. 60 Millionen Menschen ließen Ihr Leben.

Wir kommen heute am Volkstrauertag hier auf dem Friedhof zusammen, um daran zu erinnern, welch‘ grausame Folgen Krieg, Gewalt und Vertreibung haben. Wir Gedenken all jener, die im Krieg oder an dessen Folgen ihr Leben verloren, deren Gesundheit beeinträchtigt wurde und die an den psychischen Folgen litten. Nicht zu vergessen alle, die unter dem Verlust ihrer Angehörigen leiden mussten. An die Kinder, die nie ihren Vater kennen lernten und die den Verlust ihrer Mutter im Bombenhagel beklagen. Und wir kommen hier an diesem Ort zusammen, um zu mahnen. Um gemeinsam zum Ausdruck zu bringen, dass wir aus der Geschichte die Lehren für die Zukunft ziehen. Dass wir dieses Leid nicht erneut erleben wollen!

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Ähnliches dachten sich bereits vor etwa 100 Jahren diejenigen, die in ganz unmittelbarer Erinnerung an den gerade erst beendeten Ersten Weltkrieg ein solches Gedenken an die gefallenen deutschen Soldaten vorschlugen. Wir wissen, dass dieses Gedenken, das dann 1922 erstmals im Reichstag stattfand, leider nicht dazu führte, dass ein dauerhaftes Umdenken in den Köpfen der Menschen verankert wurde.

Deshalb geht mit diesem Tag der Erinnerung an die Geschehnisse der Vergangenheit immer auch die Konfrontation mit den Ereignissen der Gegenwart und die daraus resultierende Konsequenz an die Zukunft einher.

Ein Blick in die täglichen Nachrichten zeigt: Wir können die Bedrohungen und die ausufernde Gewalt gar nicht mehr richtig fassen. Genauso wenig, wie wir uns tatsächlich bewusst machen, wie viele kriegerische Auseinandersetzungen es heute noch auf dem ganzen Erdball gibt. Wir lesen die Schlagzeilen, aber geht es uns wirklich nah, dass es bei jedem Krieg, jedem Terrorakt immer ganz konkret um menschliche Schicksale geht?

Gleiches gilt für zivilen Opfer: Geht es uns wirklich noch nah, dass Millionen Menschen, die als Flüchtlinge in Auffanglagern menschenunwürdig ohne Perspektive leben müssen, nichts anderes sind als Figuren auf dem Schachbrett der Mächtigen dieser Welt? Oder stellen sich Betroffenheit – vielleicht auch Abwehr – erst ein, wenn die Opfer als Flüchtlinge ihr Heil in Europa suchen? Oder wenn über den Sinn oder Unsinn von Bundeswehrmissionen in fernen Ländern und Kontinenten gestritten wird?

Wir haben das Glück, von alldem weit weg zu sein und in Frieden und Wohlstand zu leben. Seit 30 Jahren in einem geeinten Deutschland. Mit einem funktionierenden Schul- und Gesundheitssystem. Mit gesicherter Energieversorgung und einer sozialen Grundsicherung in einem freien Land. In einem noch weitgehend geeinten Europa.

Aber rücken nicht auch bei uns Hass und Gewalt immer näher? Findet nicht auch bei uns eine zunehmende Enthemmung statt? Allein in den vergangenen Monaten haben sich in Deutschland schlimmste Geschehnisse ereignet, die ich persönlich nicht für möglich gehalten hätte.

In Halle an der Saale versucht sich ein rechtsextremer Attentäter an einem Massenmord an Juden in einer Synagoge. Der Antisemit erschießt dabei zwei Personen auf der Straße und verletzt zwei weitere. In Wächtersbach - nur wenige Kilometer von hier - schießt ein verblendeter Nationalist und Rassist einen Eritreer nur auf Grund seiner Hautfarbe nieder. Der Mann überlebt schwer verletzt. In Wolfhagen wird mit Regierungspräsident Walter Lübcke ein verdienter Demokrat auf seiner Terrasse von einem Neonazi hingerichtet, weil er sich ein Leben lang für die Belange der freiheitlich demokratischen Grundordnung unseres Landes eingesetzt hat.

Meine Damen und Herren,

dies sind nur drei extreme Beispiele dafür, dass uns auch hier Hass und Gewalt alltäglich begegnen. Abgesehen von den Widerlichkeiten und Drohungen die sich alltäglich sowohl auf der Straße als auch in so genannten „sozialen“ Netzwerken ereignen.

Das Wesen des Volkstrauertages ist es die Lehren der Vergangenheit mit den Erfahrungen der Gegenwart zu konfrontieren. Und letztlich auch die nötigen Konsequenzen für die Zukunft zu ziehen! Der Volkstrauertag dient dazu den Frieden in unserem Teil der Welt, den meine Generation als etwas Selbstverständliches betrachtet, als Geschenk zu begreifen. Er fordert aber auch dazu auf, dieses Geschenk in unserem alltäglichen Handeln zu verteidigen und dazu beizutragen, dass auch künftigen Generationen in Frieden aufwachsen und sich in Freiheit entfalten dürfen.

Der Volkstrauertag wird bald ganz ohne die persönlichen Erinnerungen von Zeitzeugen auskommen müssen. Aber vielleicht wird er dadurch umso wichtiger, weil er uns die Lehre immer wieder ins Gedächtnis ruft: Mit Krieg, Hass und Gewalt ist nichts gewonnen. Die Menschen verlieren alles, ihre Würde, ihre Heimat, ihre Gesundheit, ihr Leben.

In diesem Wissen müssen wir auf unsere heutige Welt, unser Europa und unser Deutschland schauen und unseren Beitrag dazu leisten, dass Konflikte unblutig, ohne Gewalt und Krieg gelöst werden.

Angesichts der Wirklichkeit ist das eine gewaltige Aufgabe!